Restauration und Umbau eines 3.5 Liter Derby Bentley für die Rallye Peking – Paris
Die Kundenanfrage kam sehr überraschend: «Peking – Paris», was hatten wir schon alles über diese Rallye gehört und gelesen! Was das für die teilnehmenden Autos heisst, hatten wir uns freilich noch nie so genau überlegt. Nun war die Zeit gekommen, sich über dieses Thema Gedanken zu machen, ein Kunde wollte sich nämlich mit einem kürzlich angeschafften 3.5 Liter Derby Bentley diesen Traum erfüllen. Eine richtig komplette Restauration sollte es eigentlich nicht werden, denn der Derby-Bentley aus dem Jahre 1934 war auf den ersten Blick bis auf einige Blessuren in einem akzeptablen Zustand
Der kleine Rennwagen war im Jahr 1934 als 3.5 Liter-Limousine gebaut worden, brannte jedoch, kaum in Verkehr gesetzt, komplett ab. 1937 wurde der Wagen mit neuerKarosserie und neuem, aktuellen 4,25 Liter-Motor als «Rennwagen» wieder zugelassen.
Nun sollte also der Wagen so umgebaut werden, dass er die auf den gut 16’000 km anstehenden Strapazen möglichst problemlos meistern würde. Nach einer ersten Besichtigung des «Corpus Delicti» war es nicht möglich, die Tragweite dieses Projekts zuverlässig abzuschätzen. Der Bentley musste zur Bestandesaufnahme vorerst ins Atelier nach Brüttisellen. Die erste Probefahrt erfolgte kurze Zeit später an einem unfreundlichen und kalten Novemberabend. Der Wagen wollte sich nicht so richtig an die tiefen Temperaturen gewöhnen, was wohl mit ein Grund war, warum der Motor nicht schön rund lief. Zusammen mit dem Kunden wurden erst einmal die Ziele definiert. Rallyetauglich musste der Wagen auf jeden Fall werden, aber natürlich sollte alles so original wie möglich bleiben bzw. wieder auf den Originalzustand zurückgebaut werden. Der Kunde hatte sich zu diesem Zeitpunkt zum Glück bereits sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Zudem hatten wir bei Restaurationen in der Vergangenheit schon einiges an Erfahrungen gesammelt. Ein grobes Konzept und der damit verbundene Zeitplan mussten nun her. Das Jahr 2008 war schon weit fortgeschritten, und die Bücher fürs erste Quartal 2009 waren fast voll: Keine sehr guten Voraussetzung für die Planung der Weihnachtsferien! Nach vielen Besprechungen und Diskussionen, zum Teil auch mit externen Fachleuten, stand das grobe Konzept des Auftrags, zuletzt wurde daraus doch eine komplette Restauration!
Erste Phase
In der ersten Phase beschäftigten wir uns ausschliesslich mit der Anpassung der Werkstatt. Der Arbeitsplatz musste entsprechend umgebaut werden. Was wir jetzt brauchten, war Platz und natürlich ein passendes System. Aber dazu später mehr. Im alten Jahr konnten wir mit den Vorbereitungsarbeiten beginnen. In einem ersten Schritt mussten erst mal alle Fahrzeugdaten ermittelt werden. Das Chassis wurde komplett vermessen und mit den Angaben aus der Literatur verglichen (Bild 2).
Ein bleibendes Erlebnis widerfuhr uns auf der lokalen Altstoffsammelstelle. Auf dem Werkhof hatten wir die Möglichkeit, die Gewichte einzeln zu ermitteln: Gesamtgewicht, Vorderachslast und Hinterachslast. Kaum war der Bentley auf der Waage, kam auch schon die halbe Belegschaft und schaute dem Treiben zu. Ein besonders cleverer Spezi sagte in gebrochenem Deutsch: «Du Auto nicht wegwerfen, ich nehmen gratis mit nach Hause». Ein müdes Lächeln klärte die Situation jedoch schnell. Nachdem nun alle Daten exakt ermittelt waren, machten wir unzählige Fotos. Jedes Detail wurde mehrmals abgelichtet. So kamen bereits vor dem Zerlegen einige hundert Fotos zusammen. Fast gleichzeitig waren wir mit der Eruierung von Partnerbetrieben beschäftigt. Wir brauchten kompetente und zuverlässige Partner an unserer Seite, um ein perfektes Resultat zu erreichen. Zudem war da noch der Faktor Zeit! In knapp 16 Monaten stand bereits der Termin fest für die Hauptprobe, die Marokko-Rallye 2010.
Vor dem Zerlegen hatten wir ein klares System für die Kennzeichnung der Teile festgelegt. Alle abgebauten Teile mussten gekennzeichnet und in entsprechenden Boxen und Kisten zwischengelagert werden. Alle mit roten Punkten markierten Teile waren unrestauriert oder alt, die grünen restauriert oder neu. In der ersten Phase brachten uns die vielen roten Punkte fast um den Verstand. Der Samstag wurde nun zum offiziellen Arbeitstag. Das spärliche Interieur mit den alten Instrumenten war in einem relativ schlechten Zustand (Bild 3).
Verwundert waren wir über den desolaten Zustand der Holzbodenplatten. Kaum zu glauben,
dass die Bodenplatten der Last überhaupt noch standgehalten hatten. Nun konnte erstmals der Raum unter der Karosserie eingesehen werden. Wie sollten da bloss zwei neue Benzintanks von je ca. 100 Liter und das gesamte Reisegepäck untergebracht werden? Erste Kartondummies zeigten auf, wo genau die neuen Bodenpartien eingebaut werden mussten, um das Volumen optimal aufzuteilen (Bild 4). Bald wurde klar, dass im hintersten Teil der Karosserie ein kleiner Zugang geschaffen werden musste, damit erstens das volle Volumen genutzt und zweitens die Lastverteilung optimal vorgenommen werden konnte (Bild 5).
Zudem wurden viele Halterungen und Aufnahmen gefertigt, welche es ermöglichten, Kisten und Werkzeug aussen am Fahrzeug sicher zu befestigen. Zu Beginn des Jahrs 2009 wurde die Karosserie komplett vom Chassis getrennt. Nun liefen viele Arbeiten parallel, und die einzelnen Bestandteile waren immer weniger als Auto zu erkennen. Die Karosserie wurde samt Gitterrohrrahmen einem Spezialisten übergeben, das Aluminiumkleid vollständig vom Stahlrahmen gelöst und auf einer eigens angefertigten Richtbank repariert. Ein grosser Teil der Randabschlüsse war so stark oxidiert, dass einige Meter neues Aluminiumblech eingeschweisst werden mussten. Einige Anbauteile konnten nicht mehr gerettet werden und wurden ganz neu angefertigt. Auch der «Kofferraumdeckel » inkl. Scharnier musste mit viel Kreativität neu aufgebaut werden. Der Gitterrohrrahmen wurde mit einigen zusätzlichen Halterungen versehen und nach dem Ablaugen neu lackiert. Eine spezielle Lackierung verhindert in Zukunft die aggressive Kontaktkorrosion an der Aluminium- Karosserie. Die neuen Halterungen ermöglichen es, später zusätzliche Staufächer zwischen dem Armaturenbrett und der Spritzwand zu montieren. Staufächer kann es bei einem Rallye-Fahrzeug einfach nie genug haben (Bild 6).
Das Chassis
Während in der Spenglerei geschweisst, geklopft und genietet wurde, wurde in Brüttisellen das Chassis komplett zerlegt, jede einzelne Schraube abgebaut, gereinigt und aufbewahrt. Auch die Chassisteile wurden abgelaugt und fachgerecht grundiert. Für den Zusammenbau wurden spezielle hochvergütete Schaftschrauben verwendet. Beim Zusammenbau mussten alle Masse und die entsprechenden Toleranzen genau eingehalten werden. Der Wagen sollte nach abgeschlossener Restauration ja auch wieder genau so kontrollierbar sein wie vorher. Auf weiten Teilen der Chassisendholmen wurden leichte Verstärkungen angebracht, welche mit den erforderlichen Abschlepphaken versehen wurden. Bald war das Chassis bereit für die Lackierung (Bild 7).
Gleichzeitig wurde der Motor erst einmal genau inspiziert. Eine genaue Angabe der Laufleistung lag nicht vor, jedoch lief der Motor nach einigen Arbeiten tadellos. Eine genaue Analyse ergab jedoch, dass auch dieser komplett revidiert werden musste. Schritt für Schritt zerlegte man den Motor, reinigte die einzelnen Teile und vermass diese. Regelmässige Kontrollbesuche durch den Spezialisten erleichterten diese Aufgabe enorm. Das Ausmessen der Kolben und Lagerschalen bestätigten unsere Annahmen vollauf: Die grossen Kräfte hatten dazu geführt, dass die Lagerschalen zu viel Spiel aufwiesen. Zudem hatten sich die Kolben in Arbeitsrichtung mehrere Zehntel abgelaufen; eine ovale Kolbengeometrie war die Folge (Bild 8)!
Der Ölfluss war im ganzen Block einwandfrei, jedoch hatten sich in den bewegten Teilen starke Ablagerungen gebildet: Altes Öl zersetzt sich bei langen Standzeiten, wobei sich Ablagerungen im Öl bilden. Nur regelmässiger Ölwechsel verhindert Ablagerungen im Motor. Die sehr hohen Beschleunigungskräfte an der Kurbelwelle verdichten die Ablagerungen zu einem festen «Kuchen». Diese Ablagerungen in der Kurbelwelle ragten bis unmittelbar an die Ölbohrungen. Es war nur eine Frage der Zeit, und der Ölfluss wäre an einigen Stellen unterbrochen worden. Die Zylinder wurden neu geschliffen und es wurden neue Masskolben eingepasst. Der Zusammenbau erfolgte in Brüttisellen und zum Schluss bei einem Motorenspezialisten in der Nähe (Bild 9).
Das Fahrwerk bzw. Chassis musste natürlich ebenfalls massiv angepasst werden. Der Wagen würde in nächster Zukunft wohl nicht mehr auf einer Rennstrecke bewegt. Jedoch würden unbefestigte Strassen, Schotterpisten und Flussdurchfahrten zu überwinden sein. Um die Bodenfreiheit etwas zu erhöhen, wurden die 17»-Speichenräder durch die nächstgrössere Dimension ersetzt. Zudem mussten die alten Blattfedern neuen und längeren Platz machen, was die Bodenfreiheit um weitere 5 cm vergrösserte (Bild 10).
Die Hochzeit
Schon bald stand die «Hochzeit» an, Chassis und Karosserie wurden wieder vereint. Zum grossen Erstaunen aller passte alles perfekt zusammen (Bild 11 und Bild 12). Viele kleinere und grössere Arbeiten waren aber noch nötig, bevor der Wagen lackiert werden konnte. Endlich stand optisch wenigstens wieder ein Auto in der Werkstatt (Bild 13).
Der Fahrzeugboden wurde als Doppelboden ausgeführt, um zusätzlichen Stauraum zu schaffen. In den dadurch entstandenen Fächern fanden aber auch Batterien, Benzinpumpen und Filter Platz. Alle relevanten Komponenten wurden in doppelter Ausführung eingebaut. Falls eine Gruppe ausfallen sollte, könnte man ganz einfach und ohne Elektronik auf die zweite umstellen. Der komplette Kabelbaum wurde von Grund auf neu aufgebaut. Alle einzelnen Kabel wurden so nach und nach zu einem beträchtlichen Strang. Jeder einzelne Verbraucher wurde durch konventionelle Stecksicherungen im neu gefertigten Sicherungskasten abgesichert. Es versteht sich von selbst, dass der neue Sicherungskasten dem originalen aufs Haar gleicht und sogar der ursprüngliche Deckel zum Einsatz kommt (Bild 14).
Natürlich braucht auch dieses Auto ein gewisses Mass an moderner Technik und Elektronik. Es wurde jedoch darauf geachtet, dass die Zuverlässigkeit an absolut erster Stelle steht. Für den normalen Betrieb wird diese Technik also nicht benötigt. Hilfsmittel wie Innenbeleuchtung (im ganzen Auto inkl. Staufächer), Sat-Tel., Navigation, Tripmaster etc. wurden so verbaut, dass der Fahrbetrieb in keiner Weise beeinträchtigt wird. Es stellten sich aber auch immer wieder kleinere und grössere Probleme, welche zu lösen waren. Die Originalbeleuchtung reicht gerade mal aus, um sich auf befestigten Strassen zu bewegen. Aus Sicherheitsgründen mussten aber die Leuchtmittel angepasst werden. Der Umbau auf H4 war optimal, denn der Lichtkegel erwies sich als gut. Zudem war so die Verfügbarkeit der eingesetzten Leuchtmittel auf der ganzen Reise gewährleistet. Zusätzliche Scheinwerfer wurden nach Kundenwunsch montiert, und Brems- und Blinkerleuchten wurden in LED-Technik umgesetzt. Die Standzeiten solcher LED-Leuchtmittel sind auch auf unbefestigter Strasse sehr hoch. Bei einer Rallye über eine so lange Distanz muss ein weiterer nicht unwesentlicher Faktor berücksichtigt werden: Die Betriebstemperatur des Motors soll sich in einem gewissen Temperaturfenster bewegen. Nun erwarten die Fahrzeuge und Teilnehmer auf der Strecke Peking-Paris jedoch Temperaturen von deutlich unter Null bis über 40°C. Das Kühlsystem musste also so weit optimiert werden, dass bei jeder Aussentemperatur eine akzeptable Betriebstemperatur herrscht. Die Sattler machten es erst möglich, dass der Kunde während den langen Fahrten «bequem» sitzen kann. Auch das einfache und leichte Verdeckgestänge wollte noch verkleidet werden. Das spärliche Cockpit verfügte nun über alle nötigen Hilfsmittel, um eine so anspruchsvolle Rallye zu meistern (Bild 15, 16). Nach ca. 14 Monaten waren wir bereit für eine erste Probefahrt (Bild 17).
DIe Übergabe
Kleinere Arbeiten und Nachbesserungen waren nötig, bevor der Wagen für die Übergabe bereit war 15 16 17 18 19 (Bild 18, 19). Es sei angefügt, dass der Mitarbeiter auf der Altstoffsammelstelle beim neuerlichen Wägen keine Fragen mehr hatte… In der Zwischenzeit hat der Bentley über 4’000 problemlose Kilometer auf dem Chassis. Ein Teil wurde in der Schweiz sogar bei Eis und Schnee gefahren. Die Hauptprobe in Marokko (Marokko-Rallye 2010) war bis auf ein Leck in einem der Benzintanks auch sehr erfolgreich. Bild 26 . Es bleiben noch einige Wochen für Detailarbeiten und Kontrollen, bis es auf die grosse Reise geht. Es wird nun wohl noch einmal die einen oder anderen Überstunden geben, jedoch wissen wir danach genau, dass alles Mögliche gemacht wurde, um die anstehende Herausforderung zu meistern.
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